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01.08.2020 Kein gewohnheitsrechtliches Wegerecht nach jahrzehntelanger Duldung durch Nachbarn

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Wegerecht nicht durch Gewohnheitsrecht entstehen kann, auch wenn eine jahrzehntelange Praxis bestanden hat (BGH, Beschluss vom 24.01.2020, Az.: V ZR 155/18). Daher kann ein Wegerecht, das nicht im Grundbuch eingetragen ist, nur durch eine schuldrechtliche Vereinbarung oder als Notwegerecht entstehen.

Nachbarin gewährt Zugang über Weg auf eigenem Grundstück 

Die Kläger sind Eigentümer von drei nebeneinander liegenden Grundstücken, die an einer öffentlichen Straße liegen und mit aneinandergrenzenden Häusern bebaut sind. Hinter den Häusern befinden sich Garagen, die baurechtlich nicht genehmigt sind. Diese Garagen erreichten die Kläger über die Grundstücke der Beklagten, auf denen sich ein Weg zu den Garagen befindet. Die Nutzung dieses Wegs wurde jahrzehntelang sowohl durch frühere Eigentümer als auch die Beklagte selbst geduldet. Im Grundbuch war aber nie ein Wegerecht eingetragen.

Klage gegen Sperrung des Weges

Die Beklagte erklärte gegenüber den Klägern die Kündigung des Leihvertrages über das vor über 30 Jahren bestellte schuldrechtliche Wegerecht, kündigte die Sperrung des Weges an und begann mit dem Bau einer Toranlage. Dagegen klagten die Nachbarn und beriefen sich auf ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht und hilfsweise auf ein Notwegerecht. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht gab den Klägern Recht und urteilte, dass die Kläger aufgrund eines gewohnheitsrechtlichen Wegerechts zur Nutzung des Wegs auf dem Grundstück der Beklagten berechtigt seien.

Bundesgerichtshof: Gewohnheitsrecht reicht nicht

Der Bundesgerichtshof entschied nun anders: Er hob das Urteil auf und hat die Klage zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Nach Ansicht der Richter entsteht Gewohnheitsrecht durch eine längere tatsächliche Übung, die von den Beteiligten auch als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Voraussetzung sei aber eine generell-abstrakte Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. Ein Gewohnheitsrecht könne daher nur zwischen einer Vielzahl von Personen und in einer Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber in einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn. Deshalb könne in einem solchen konkreten nachbarlichen Verhältnis ein Wegerecht außerhalb des Grundbuchs nur durch eine schuldrechtliche Vereinbarung oder als Notwegerecht entstehen. Das Oberlandesgericht muss nun prüfen, ob die Voraussetzungen des Notwegerechts in dem konkreten Fall vorliegen, ob also die Zufahrt über das Nachbargrundstück für die ordnungsgemäße Benutzung der eigenen Grundstücke erforderlich ist. Allerdings sei dabei zu berücksichtigen, dass die Garagen nicht genehmigt sind und mangels Erschließung auch nicht genehmigungsbedürftig seien. Ein Notwegerecht dürfte daher ausscheiden. Etwas anderes gelte nur, wenn die Grundstücke gewerblich genutzt werden.

Bewertung und Praxistipp

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs überzeugt. Zum einen ist richtig, dass das Institut des Gewohnheitsrechts nicht für einzelne Rechtsverhältnisse anwendbar ist. Zum anderen besteht kein Bedürfnis für eine gewohnheitsrechtliche Entstehung eines Wegerechts, da es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, wie ein Wegerecht entsteht und wie es rechtlich abgesichert werden kann.

Grundstückseigentümern, die über ein fremdes Grundstück gehen oder fahren wollen, ist dringend zu raten, sich das Wegerecht als dingliches Recht in das Grundbuch eintragen zu lassen, da dies die sicherste Variante ist.

Denn eine schuldrechtliche Vereinbarung kann jederzeit gekündigt werden und die Voraussetzungen eines Notwegerechts sind streng. Für Eigentümer eines Grundstücks, die es bislang lediglich dulden, dass Nachbarn ihr Grundstück nutzen, ist relevant, dass sie jederzeit die Möglichkeit haben, sich von einer schuldrechtlichen Vereinbarung zu lösen. Sie müssen die Nutzung ihres Grundstücks nach Kündigung der Vereinbarung nur dann dulden, wenn ein Notwegerecht des Nachbarn besteht.

Sollten Sie Fragen zu einem Wegerecht haben, wenden Sie sich gern telefonisch an uns, um einen Termin zu vereinbaren.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Christoph Häntzschel

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