Rechtsblog

03.04.2018: Häufige Kurzerkrankungen – ein Kündigungsgrund? Betriebliches Eingliederungsmanagement nötig?

Häufige Kurzerkrankungen stellen allein keinen Grund für eine wirksame Kündigung dar. Vor Ausspruch der Kündigung muss ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchgeführt werden.

  1. Grundlage des bEM

Gemäß § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein bEM durchzuführen.

„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, (…) mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).“

Voraussetzung ist die Erkrankung eines Arbeitnehmers von mehr als sechs Wochen binnen eines Jahres. Entscheidend ist die Gesamtheit der krankheitsbedingten Fehltage und nicht einzelne durchgehende Krankheitsperioden von mehr als sechs Wochen.

  1. Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hat folgende Grundsätze entwickelt:

Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose für den Arbeitnehmer erforderlich (1. Stufe). Zudem müssen die zukünftigen Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (2. Stufe). Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa für Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr, zu einer derartigen Beeinträchtigung führen.

3. Ziele und Mindeststandards des bEM

a. Grundsätzliches Ziel des bEM ist die Vermeidung der Kündigung.

Das bEM soll der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers dienen und ist daher ein ergebnisoffenes Verfahren. Auch der Arbeitnehmer kann sich mit eigenen Vorschlägen einbringen.

Keine vernünftige Möglichkeit soll ausgeschlossen werden, um das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft zu sichern. Medizinische Rehabilitationsbedarfe sollen frühzeitig und präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden.

b. Bei der Durchführung des bEM sind durch den Arbeitgeber Mindeststandards zu beachten.

Es müssen die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen beteiligt werden. Dabei wird festgestellt, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Fehlzeiten gekommen ist. Es sollen Möglichkeiten gefunden werden, durch bestimmte Veränderungen, die krankheitsbedingten Ausfälle zu verringern. Das Gesetz lässt den Beteiligten bei der Prüfung von Maßnahmen, Leistungen und Hilfen jeden denkbaren Spielraum.

Gemäß § 84 Abs. 2 S. 3 hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über Art und Umfang der dabei zu erhebenden Krankheitsdaten zu unterrichten, insbesondere inwieweit diese erhoben, gespeichert und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.

„Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.“

Verweigert der Arbeitnehmer dann seine Teilnahme bzw. Auskünfte zur Art der bestehenden Beeinträchtigung, gilt das bEM als aussichtslos und muss nicht durchgeführt werden.

4. Folgen bei fehlendem bEM

a. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG).

Mit dem bEM sollen mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden. Wird ein bEM nicht durchgeführt, ist die Kündigung unverhältnismäßig.

Der Arbeitnehmer kann sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung zur Wehr setzen.

Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er auch bei häufigen Kurzerkrankungen seiner gesetzlichen Pflicht zur Durchführung eines bEM nachkommen muss.

b. Der Arbeitgeber muss die objektive Nutzlosigkeit des bEM darlegen und gegebenenfalls beweisen.

Ein fehlendes bEM ist nur dann unschädlich, wenn der Arbeitgeber umfassend und detailliert vorträgt, dass es trotz bEM zu neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit gekommen wäre. Der Arbeitgeber sollte daher nicht vorschnell handeln und immer die Möglichkeit eines bEM in Betracht ziehen.

Im Zweifel holen Sie sich fachlichen Rat über die Anforderungen ein. Wir beraten Sie gern.

Ihr Ansprechpartner im Arbeitsrecht in Leipzig:

Christoph Häntzschel

Rechtsanwalt, Mediator und Fachanwalt für Arbeitsrecht

Grundmann Häntzschel Rechtsanwälte

 

(BAG: Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13; LAG Mainz: Urteil vom 10.12.2015 – 5 Sa 168/15)

 

 

Rechtstipps und Urteile