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Arbeitsrecht: Versetzung des Arbeitnehmers an anderen Betriebsstandort

22. Februar 2012: Trotz erhöhter Pendelzeiten kann eine Versetzung rechtmäßig sein.

 

Bundesarbeitsgericht: 17. August 2011 – Az.: 10 AZR 202/10

Das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kannaus verschiedenen Gründen gestört sein. Konfrontationen lassen sich oft nichtvermeiden, vor allem, wenn es um Fragen der Versetzung geht.

In den meisten Fällen hängt die Versetzung mit einem Standortwechseldes Betriebes oder einer Verwaltungsreform zusammen. Umso schwerer fällt es demArbeitgeber in dieser Situation, auf alle Interessen des Arbeitnehmers einzugehen.Trotzdem muss die Versetzung nicht ohne weiteres hingenommen werden. Vielmehrmüssen die Interessen beider Parteien abgewogen werden.

1.Zusammenfassung

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber berechtigt, die zuerbringende Arbeitsleistung hinsichtlich des Inhaltes, des Ortes und der Zeitgemäß § 106 S. 1 GewO (Gewerbeordnung), § 315 BGB nach billigem Ermessen zubestimmen.

Diese Bestimmung darf dabei zunächst den imArbeitsvertrag getroffenen Festlegungen nicht widersprechen. Ebenso sindBetriebsvereinbarungen, anwendbare Tarifverträge und allgemeine gesetzlicheVorschriften zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber hat damit die Freiheit übereine Versetzung zu entscheiden und damit seine eigenen Interessen zu wahren.Dabei geht es meistens darum, das bereits ausgebildete und eingearbeitetePersonal weiterhin beschäftigen zu können. Bei einer Leistungsbestimmung nachbilligem Ermessen sind jedoch die Interessen des Arbeitnehmers gleichermaßen zuberücksichtigen, auch im Hinblick auf die Verkehrssitte und die Zumutbarkeit.

Ob der Arbeitgeber auch tatsächlich sein Ermessenfehlerfrei und regelungskonform ausgeübt hat, lässt sich nur im Einzelfallbeantworten. Denn jede Entscheidung hängt von subjektiven Umständen ab. Diesich infolge der Versetzung verändernden Fahrzeiten zum neuen Arbeitsplatzstellen unter anderem ein solches persönliches Interesse des Arbeitnehmers dar,welches in vielen Fällen grundlos zurücktreten muss. Dabei kann denArbeitnehmer durch die erhöhten Pendelzeiten und Wegstrecken eine unzumutbare,vor allem eine finanzielle Mehrbelastung treffen.

Nicht zuletzt rechtfertigt der Arbeitgeber die Versetzungmeistens damit, dass ein alternativer Beschäftigungsort nicht bestehe. Machtihn jedoch der Arbeitnehmer auf konkrete, alternative Beschäftigungsmöglichkeitenaufmerksam, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese zu prüfen und – wenndiese tatsächlich vorliegen – jedenfalls bei Abwägung der sichentgegenstehenden Interessen einzubeziehen. Letztlich kann die Überprüfung desausgeübten Ermessens gemäß § 315 III S. 2 BGB zur Aufgabe des Gerichts werden.

2.Sachverhalt

Die Klägerin, tätig im Sächsischen Landesjugendamt in derStadt D., hatte die Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Versetzungsanordnungvom 14. Juli 2008 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht beantragt. Zuvor legtedas Sächsische Verwaltungsneuordnungsgesetz vom 29. Januar 2008 die Auflösungdes Sächsischen Landesamts für Familie und Soziales fest, zu welchem dasSächsische Landesjugendamt in der Stadt D. gehörte.

Die Klägerin hatte vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.

Gegen dieses Urteil wendete sich die Beklagte mit ihrerRevision vor dem Bundesarbeitsgericht.

3.Entscheidung

Das BAG ist – anders als das SächsischeLandesarbeitsgericht – der Auffassung, dass die Grenzen für dieUnverhältnismäßigkeit der Pendelzeiten nicht aus einer sozialrechtlichen Normabgeleitet werden können. Die Anwendung des § 121 IV S.SGB II, wie vom Sächsischen Landesarbeitsgericht angenommen, sei daher nichtsachgemäß. Zwar lege die Vorschrift die zumutbaren, täglichen Pendelzeitenzwischen Wohnung und Arbeitsstätte fest, sie betrifft jedoch dasRechtsverhältnis zwischen Arbeitslosen und Arbeitsverwaltung. Der Normzweckziele folglich darauf ab, Leistungsmissbrauch zu unterbinden und könne sichdaher nicht belastend auf die Regelungen über den Ermessensmissbrauch desArbeitgebers auswirken.

Der Maßstab der Norm sei somit nicht entscheidend für dasausgeübte Ermessen des Arbeitgebers. Das Urteil ist daher aufgehoben und dieSache zurückverwiesen worden.

4.Fazit

Ist eine Versetzung durch den Arbeitgeber beabsichtigt,so ist der zu versetzende Arbeitnehmer vorab anzuhören. Auf Hinweis desArbeitnehmers müssen etwaige alterative Beschäftigungsorte in Betracht gezogenwerden. Ist eine Versetzung unvermeidbar, sind bei der Anhörung persönlicheUmstände zu berücksichtigen.

Insbesondere die Zumutbarkeit des Arbeitsweges ist genauzu prüfen. Verlängern sich die Anfahrtszeiten zum Arbeitsort, so ist dieserUmstand in die Abwägung beiderseitiger Interessen durch den Arbeitgeber einzubeziehen.Dabei ist gleichwohl darauf zu achten, ob anderweitige personelle Umstände desArbeitnehmers gegen einen längeren Arbeitsweg sprechen, sodass das Vorliegeneines Härtefalls überprüft werden muss. Eine sozialrechtliche Grundlage für dieFeststellung eines unzumutbaren Arbeitsweges ergibt sich hierbei nicht.

Schlagwörter: Arbeitsrecht, Versetzung, billigesErmessen, Zumutbarkeit langer Pendelzeiten, Direktionsrecht des Arbeitgebers,persönliches Interesse des Arbeitnehmers, dienstliche Gründe des Arbeitgebers

Ihr Ansprechpartner für Fragen des Arbeitsrechts ist:

Rechtsanwalt Christoph Häntzschel

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