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Arbeitsrecht: Auch bei „kleinem“ Diebstahl kann Kündigung drohen.

13. August 2012: Verlust des Arbeitsplatzes bei Bagatellstraftat – Beweis durch heimliche Überwachung des Arbeitgebers möglich?

BAG,Urteil vom 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11

 

 1. Von kleinen Diebstählen und ihrer Beweisbarkeit im Prozess

    Bedient sich eine Verkäuferin ohne Erlaubnis ihresArbeitgebers und ohne dafür zu bezahlen im Warenbestand des Unternehmens, kanndarin bereits ein Kündigungsgrund liegen. Die langjährige Betriebszugehörigkeitder Verkäuferin führt dabei nicht grundsätzlich dazu, dass die Kündigungunverhältnismäßig und deswegen unwirksam ist.

    Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) setztso die Rechtsprechung zu zahlreichen Bagatelldiebstählen im Arbeitsverhältnisfort (Emmely-Fall [Kündigung wegen Einlösen von Pfandbons]: BAG, Urteil vom10.6.2010, 2 AZR 541/09; Kinderbett-Fall [Mitnehmen eines Kinderbetts, wasentsorgt werden sollte]: ArbG Mannheim, Urteil vom 30.7.2009, 15 Ca 278/08).

    Besondere Beachtung sollte dieses Urteil aberfinden, weil das BAG hier klarstellt, dass einem Arbeitgeber Grenzen gesetzt sind,wenn er Diebstähle seiner Mitarbeiter vor Gericht anzeigen will. Dieses Urteilbespricht, ob ein Beweis, der das Fehlverhalten eines Arbeitnehmers tatsächlichbelegt, auch rechtlich wirksam im Prozess gegen diesen verwendet werden kann.

     

    2. Verkäuferin leugnete Diebstahl, Videobänder belegten aber das Gegenteil

      Dem Urteil des BAG lag folgender Sachverhalt zuGrunde:

      Ein Einzelhandelsunternehmen hatte denVerdacht, dass auch Diebstähle seiner Angestellten zu hohen Gewinneinbußen führen.So stellte das Unternehmen im Dezember 2008 für 3 Wochen versteckt Überwachungskamerasin seinen Verkaufsbereichen auf. Diese Installation erfolgte mit vorherigerZustimmung des Betriebsrates.

      Die Überwachung deckte auf, dass die stellvertretendeFilialleiterin zweimal jeweils eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestandentwendete. Daraufhin kündigte das Unternehmen der Filialleiterin fristlos undhilfsweise fristgerecht. Die Filialleiterin hatte bestritten, Zigaretten gestohlenzu haben. Ihre Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Köln war allerdingserfolglos, da die Richter die fristlose Kündigung auf Grundlage der Videobänderfür gerechtfertigt und den Diebstahl für erwiesen hielten. In zweiter Instanzsah das Landesarbeitsgericht (LAG) auf Grundlage der Videoüberwachung aber nur einefristgerechte Kündigung als wirksam an. Eine fristlose Kündigung war danachnicht möglich.

      Das BAG schloss sich zwar im Ergebnis demUrteil des LAG an. Allerdings sah das BAG das Problem darin, ob solcheÜberwachungsvideos überhaupt im Prozess als Beweismittel herangezogen werdendürfen.

       

      3. Beweis durch Videoüberwachung nur unter bestimmen Umständen möglich

        Ohne Zweifel bewiesen die heimlichenVideoaufnahmen der Arbeitgeberin, dass die stellvertretende Filialleiterin sichohne zu bezahlen in der Warenauslage bediente.

        Dürfen aber ohne weiteres diese Aufzeichnungauch im Prozess gegen sie verwendet werden?

        In seiner Entscheidung thematisierte das LAGKöln diese Frage im Detail nicht weiter und verwies lediglich pauschal auf einUrteil des BAG aus dem Jahre 2003 (BAG, Urteil vom 27. März 2003 – 2 AZR 51/02).Darin hieß es, dass auch heimliche Aufnahme im Prozess verwendet werden dürfen,wenn

         

        • ein konkreter Verdacht einer strafbarer Handlungen oder anderen schweren Verfehlung besteht, und
        • mildere Mittel zur Aufklärung nicht bestehen, so dass eine verdeckte Videoüberwachung das einzig mögliche Mittel darstellt, und
        • die verdeckte Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.

         

        Das BAG hielt auch für den Fall derFilialleiterin an diesen Voraussetzungen für eine Beweisverwertung fest. Demnachkönnen Beweise, die durch versteckte Videoüberwachungen erlangt wurden, nichtohne Weiteres im Streitfall vor Gericht gegen den Täter verwendet werden. Einewirksame Nutzung dieser Beweise ist nur unter den obengenannten Umständen möglich.Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Interessen des Arbeitgebers, denVorfall eindeutig zu beweisen und das Beweismittel im Prozess verwerten zukönnen, dem „allgemeinem Persönlichkeitsrecht“ des Arbeitnehmers nichtentgegenstehen.

        Ist die Videoüberwachung durch denArbeitgeber trotz Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers also schützenswert,dann ist diese Art und Weise der Informationsbeschaffung zulässig und auch imgerichtlichen Prozess verwertbar. Welche Interesse überwiegen, muss sorgfältig undauf den konkreten Fall bezogen abgewogen werden.

        Im Fall der Filialleiterin stellte das BAG klar,es genügte hier nicht, dass das LAG in seinem Urteil nur pauschal auf das BAG-Entscheidungaus dem Jahre 2003 verwies und die Rechtsauffassung nur abstrakt wiedergab. DasLAG hätte hier für den Fall der Filialleiterin explizit feststellen müssen,dass die rechtlichen Voraussetzungen zur Verwertung des Videobeweises in diesemkonkreten Fall vorgelegen haben und so die Interessen des Unternehmens demInteresse der Angestellten überwogen. Das hat das LAG allerdings nicht getanund machte es sich hier so zu leicht. Zu Recht hob das BAG so das Urteil aufund verwies den Streit zurück. Das LAG muss sich nun erneut damit auseinandersetzenund entscheiden, ob hier die rechtlichen Voraussetzungen für ein Beweismittelvorlagen, was auch im Prozess wirksam gegen die Filialleiterin verwendet werdenkonnte. Diese Entscheidung bleibt noch abzuwarten.

         

        4. Praxistipp:

          Nach dem vorliegenden BAG-Urteil gilt also:

          Die Verwertung von Beweisen, die durch heimlicheVideoüberwachung erlangt wurden, sind und bleiben grundsätzlich unzulässig. Nurunter den oben genannten Umständen, können so erlangte Beweise dennoch imProzess berücksichtigt werden.

          Abgesehen von der gerichtlichen Verwertungvon Beweisen aus heimlichen Videoaufnahmen, kann der Arbeitgeber unter Umständenallerdings auch ganz legal seine Mitarbeiter überwachen.

          Da aber jede Überwachung jedenfalls einEingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt, kommt es auf die Intensitätdes Eingriffs und die jeweilige Begründung des Arbeitgebers dafür an. Filmt einArbeitgeber zum Beispiel den Kassenbereich eines Supermarktes um eventuelleDiebstähle aufzuklären, und weist er mit einem Schild daraufhin, so ist dieserEingriff in das Persönlichkeitsrecht von Kassierern und Kunden weniger schwer.Erfolgt die Überwachung aber heimlich, liegt ein stärkerer Eingriff vor. Diesermuss mit entsprechend Argumentationsaufwand begründet werden, um zulässig zusein.

           

          Schlagwörter: Arbeitsrecht,Kündigung, Diebstahl, Videoüberwachung, heimliche Überwachung durchArbeitgeber, geringwertige Sachen, Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers,Verwertung Videobeweis im Prozess, Kündigungsschutzklage

           

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