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Arbeitsrecht: Sozialauswahl – Herausnahme von Leistungsträgern und Altersgruppenbildung

14. November 2012: Erfolgreiche Kündigungsschutzklage eines älteren Arbeitnehmers gegen betriebsbedingte Kündigung.

BAG, Urteil vom 22.März 2012 – 2 AZR 167/11

Worum ging es in diesem Fall?

Die Parteien streitenüber die Wirksamkeit einer auf betriebliche Gründe gestützten Kündigung.

Der Arbeitnehmer(Kläger) ist 1954 geboren und seit 1987 bei seinem Arbeitgeber (Beklagte) inder Abteilung für Vorrichtungsbau/Mechatronik angestellt. 2009 musste dieBeklagte aus wirtschaftlichen Gründen Stellen abbauen, weshalb sie mit demBetriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan erstellte.

Es wurden 5Altersgruppen erstellt. Die Durchführung der Sozialwahl erfolgte für jedeArbeitnehmergruppe (Abteilung) separat. Altersgruppen wurden gebildet, um dieAltersstruktur im Betrieb zu erhalten. Die Anzahl der erforderlichenEntlassungen wurde prozentual auf die jeweiligen Altersgruppen verteilt.

Innerhalb der Altersgruppe erfolgt eine soziale Auswahl dergestalt, dassdiejenigen Arbeitnehmer für personelle Maßnahmen herangezogen wurden, dieinnerhalb der Altersgruppe die geringste Punktzahl aufweisen. Von derSozialauswahl ausgenommen wurden Mitarbeiter, deren Fortbeschäftigung ausbetrieblichen Interessen erforderlich ist.

In der Abteilung desKlägers waren zuletzt 11 Arbeitnehmer beschäftigt. Er gehörte allein Gruppe 5 (ab56 Jahre) an. Ein Kollege gehörte in Gruppe 1 (0-25 Jahre), die anderen 6 verteiltensich auf die Gruppen 2-4. Die Abteilung sollte auf 6 Angestellte verringertwerden.

Die Gesamtbelegschaftwurde von 181 auf 133 Arbeitnehmer verkleinert. Zwischen dem Kläger undKollegen aus den Gruppen 2-4 sollte ein Interessenausgleich stattfinden. Derjüngste Kollege war wegen besonderer Kenntnisse sozial geschützt. Dem Klägerwurde nunmehr gekündigt. Er reichte Klage ein und begründete sie damit, dass ersozial schutzwürdiger sei als der junge Kollege.

 

Wie begründet dasGericht seine Entscheidung?

Die Revision derBeklagten (Arbeitgeber) ist unbegründet, da die Kündigung als sozialungerechtfertigt anzusehen ist. Nach § 1 III 1 KSchG ist eine Kündigung – trotzVorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse – sozial ungerechtfertigt,wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmer die Dauer derBetriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und dieSchwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigthat.

In die Sozialauswahlsind die Arbeitnehmer einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind (=aufgrund Fähigkeiten, Kenntnissen und Aufgabeninhalt austauschbar). SozialeGesichtspunkte sind „ausreichend“ zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber hat bzgl.der Gewichtung der Sozialkriterien einen Wertungsspielraum. Mit Erfolg könnennur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer die Fehlerhaftigkeit der sozialenAuswahl rügen.

Die Beklagte hat beider Auswahl des Klägers die sozialen Gesichtspunkte nicht ausreichendberücksichtigt. Der Kläger ist schon deshalb deutlich schutzwürdiger als der jungeKollege, weil er fast doppelt so alt ist und dreimal so lang beim Arbeitgeber beschäftigtist.

Ist dieWeiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers wegen seiner Kenntnisse, Fähigkeitenund Leistungen besonders wichtig für das Unternehmen (berechtigtesbetriebliches Interesse), muss er in die Sozialauswahl nicht einbezogen werden.Dabei ist jedoch das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers mit demInteresse des Arbeitgebers – den Leistungsträger herauszunehmen – abzuwägen.Die Gründe für die Herausnahme des Leistungsträgers müssen umso gewichtigersein, je schwerer das soziale Interesse wiegt.

Vorliegend hat derjunge Kollege besondere Fähigkeiten, über die der Kläger nicht verfügt. Allerdingskönnen diese Tätigkeiten auch von anderen Kollegen übernommen werden. DasInteresse des Arbeitgebers den jungen Kollegen zu behalten ist daher nichthöher einzuschätzen als das Interesse des sozial schwächeren Klägers.

Eine Sozialauswahlnach Altersgruppen kann zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur desBetriebs zulässig sein. Dabei muss die Anzahl der Entlassungen innerhalb einerGruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmerdes Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreichen. Zudem muss diekonkrete Altersgruppenbildung zur Sicherung der bestehenden Altersstruktur derBelegschaft geeignet sein.

Praxistipp:

Wie kann der Arbeitnehmergegen eine betriebsbedingte Kündigung vorgehen, wenn er die Sozialauswahl fürfalsch hält?

Der Arbeitnehmer kannim Rahmen einer Kündigungsschutzklage die Unwirksamkeit der Kündigungfeststellen lassen. Nicht nur, dass der Arbeitgeber die betriebsbedingteKündigung darlegen und deren Rechtfertigung beweisen muss, birgt ein Risiko fürden Arbeitgeber. Auch im Fall von Altersgruppenbildungen besteht die Gefahr,dass diese nicht ordnungsgemäß aufgestellt bzw. angewendet worden sind.

Daher sollte von Seitendes Arbeitgebers vor Aussprechen der Kündigungen die Sozialauswahl sorgfältig vorgenommenwerden.

Stichwörter: Arbeitsrecht,betriebsbedingte Kündigung, Kündigungsschutzklage, Sozialauswahl, Altersgruppenbildung,Herausnahme von Leistungsträgern

 

Ansprechpartner fürFragen des Arbeitsrechts ist:

 

RechtsanwaltChristoph Häntzschel

Fachanwalt fürArbeitsrecht, Leipzig

 

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