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Urheberrecht: Wann haften Eltern für die Urheberrechtsverletzung ihrer minderjährigen Kinder in Online-Tauschbörsen?

19. Juli 2012: Zur Haftung und zur Schadensberechnung bei Filesharing von Jugendlichen oder Achtung Eltern!

Das Oberlandesgericht Köln hat entschieden, dass Eltern für die Urheberrechtsverletzung ihrer Kinder auch dann haften, wenn sie nur ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Zwar dürfen Kinder das Internet selbstständig nutzen. Dann müssen die Eltern aber Sicherungsmaßnahmen treffen und Kontrollen durchführen. Kommen sie dem nicht hinreichend nach, haben sie den Schaden zu tragen. Dieser beträgt – laut Gericht im konkreten Fall – 200 € je Musiktitel.

Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 23.03.2012, Az.: 6 U 67/11

Vorinstanz: Landgericht Köln, Urteil vom 30.03.2011, Az.: 28 O 716/10

Polizei findet bei Durchsuchung eines Computers eines Jugendlichen Filesharingsoftware

Vier große Tonträgerhersteller verlangen von einem Elternpaar Schadensersatz und Ersatz von Abmahnkosten wegen illegalem Filesharing ihres minderjährigen Sohnes. Der 13-Jährige hatte Anfang 2007 insgesamt 1.147 Musikdateien zum kostenlosen Download in einer Tauschbörse angeboten.

Vorausgegangen war dieser Klage und der Abmahnung eine polizeiliche Durchsuchung bei den Eltern. Dabei wurde auch der Computer des Jugendlichen durchsucht. Auf dem Computer befanden sich neben einem Ordner mit 1.147 Titeln die beiden Filesharingprogramme „Bearshare“ und „Morpheus“. Nachdem die Tonträgerhersteller die Eltern abgemahnt haben, gaben diese eine strafbewährte Unterlassungserklärung ab. Abmahnkosten und Schadensersatz wollten sie aber nicht zahlen, woraufhin die Tonträgerhersteller beim Landgericht Köln klagten.

Das Landgericht Köln verurteilte die Eltern zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 3.000 € und zur Erstattung der Abmahnkosten in Höhe von 2.380,80 €. Die Richter des Landgerichts waren der Meinung, dass die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten. Außerdem legten sie für die 15 geltend gemachten Titel einen Betrag von 200 € pro Titel zu Grunde.

Gegen dieses Urteil wendeten sich die Eltern mit ihrer Berufung zum Oberlandesgericht Köln.

Oberlandesgericht bestätigt Urteil zu Haftung der Eltern

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Eltern zurückgewiesen. Für die Richter haften die Eltern wegen der Verletzung ihrer Aufsichtspflicht nach §§ 97 Abs. 2, 19a UrhG, 823 Abs. 1 BGB. Auch die Schadenshöhe ist nach der Ansicht des Gerichts mit 200 € je Titel richtig berechnet.

Die Tonträgerhersteller können Schadensersatz verlangen

Nach Ansicht des Gerichts haben die Tonträgerhersteller ihre sog. Aktivlegitimation, also das Recht, den Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen, hinreichend nachgewiesen. Hierfür mussten sie nicht die jeweilige Rechtekette nachweisen. Dazu hätten sie z.B. die Verträge über die Nutzungsrechte mit den Künstlern vorlegen müssen. Vielmehr genügte es, dass sie als „Lieferanten“ der Titel in der zentralen Einkaufsdatenbank Phononet aufgeführt sind. Die Eintragung in dieser Datenbank löst die Pflicht der Eltern aus, konkrete Zweifel an der Rechtkette nachzuweisen. Diese Zweifel konnten die Eltern nach Ansicht des Gerichts nicht hervorrufen.

Insbesondere ist es bereits ausreichend, dass die Tonträgerhersteller nur als „Lieferanten“ bezeichnet sind. Zwar gibt es bei Phononet auch die Bezeichnung als „Label“. Darunter wird aber nicht der Rechteinhaber bezeichnet, sondern das als Marke verstandene Label des Rechteinhabers eingetragen.

Zweifel an der Aktivlegitimation der Tonträgerhersteller bestehen nach Ansicht des Gerichts auch dann nicht, wenn die Eltern als außenstehende Dritte gar keinen Zugriff auf Phononet haben. Für das Gericht folgt aus der Eintragung bei Phononet, dass es den Eltern obliegt, die Unrichtigkeit der Eintragung nachzuweisen. Konkrete Einflussmöglichkeiten auf Phononet müssen die Eltern dagegen nicht haben.

Jugendlicher hat Musikdateien ins Netz gestellt

Nach Ansicht des Gerichts hat der Jugendliche die Rechte der Tonträgerhersteller verletzt, indem er durch seine Teilnahme an der Tauschbörse die Musikdateien gemäß § 19a UrhG im Internet öffentlich zugänglich gemacht hat. Dies folgt zum einen daraus, dass auf seinem Computer die Filesharingsoftware installiert war und zum anderen daraus, dass er in seiner polizeilichen Anhörung dies auch bestätigte. In einem solchen Fall müssen die Rechteinhaber auch nicht die IP-Adresse ordnungsgemäß ermitteln, so das Gericht.

Die Eltern haften für die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht

Die Eltern haften auch für diese Rechtsverletzung aus § 823 Abs. 1 BGB. Grundsätzlich gilt, dass der Anschlussinhaber für Rechtsverletzungen von diesem Anschluss haften. Dies gilt nur dann nicht, wenn Tatsachen dargelegt werden, aus denen sich eine ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt. Zwar steht aufgrund der Äußerung des Sohnes fest, dass dieser die Rechtsverletzung begangen hat. Das Gericht wirft den Eltern aber vor, dass diese ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.

Die gesetzliche Aufsichtspflicht schützt nicht nur den Minderjährigen, sondern soll diesen auch davor bewahren, in Rechte Dritter einzugreifen. Dabei bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht und Kontrolle des Minderjährigen nach dem Alter sowie der Eigenart und dem Charakter des Kindes und danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Einem 13-jährigen Jugendlichen ist es demnach zu gestatten, das Internet auch ohne persönliche Anwesenheit der Eltern zu nutzen, solange hinreichende Verhaltensregeln aufgestellt waren und Kontrollen zu deren Einhaltung durchgeführt werden. Nach Ansicht des Gerichts haben die Eltern dies nicht beachtet.

Firewall und Sicherheitsprogramm auf dem Computer nicht ausreichend

Zwar war der Computer mit einer Firewall und einem Securityprogramm ausgestattet. Auch kontrollierten die Eltern monatlich den Rechner des Sohnes. Dennoch war dies nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend. Aus dem Umstand, dass der Sohn die Filesharing-Programme installieren konnte, schlussfolgert das Gericht, dass die Schutzmaßnahmen nicht sachgerecht aufgespielt waren. Auch hätten die Eltern nicht nur den Internetverlauf überprüfen müssen, sondern auch in der Windows-Systemsteuerung nach den Filesharing-Programmen suchen müssen. Aufgrund der Verletzung dieser Pflichten haften die Eltern für die Urheberrechtsverletzung ihres Sohnes.

Das ist bemerkenswert. Die Eltern haften nicht nur als Störer, sondern wegen Aufsichtsrechtsverletzung für eigenes Fehlverhalten!

Schadenersatz: 200 € je Lied

Aufgrund dieser Aufsichtspflichtverletzung haben die Eltern den Tonträgerherstellern 200 € je geltend gemachten Titel, also insgesamt 3.000 € zu erstatten. Dabei hat das Gericht die Höhe des Schadens im Wege der Lizenzanalogie nach §§ 97 Abs. 2 UrhG, 287 ZPO geschätzt. Berechnungsgrundlage war dabei zunächst der GEMA-Tarif VR-OD 5, der bis zum 31.12.2011 galt. Dieser sieht für die Nutzung eines Werkes mit einer Spieldauer bis zu 5 Minuten eine Mindestvergütung von 0,1278 € je Zugriff vor. Darüber hinaus stützt sich das Gericht auf die in der Branche übliche Rahmenvereinbarung, welche Einzelbeträge von 0,50 bis 0,92 € vorsieht. Diese Rahmenvereinbarung betrifft die Lizenzierung an legale Download-Plattformen wie musicload und itunes.

Auf Grundlage dieser Beträge hat das Gericht einen durchschnittlichen Zugriff von 400 Downloads pro Titel angenommen. Dabei hat es einen Vergleich mit einer Studie vorgenommen, wonach das Album „Stadium Arcadium“ von den Red Hot Chili Peppers in drei Wochen im Frühjahr 2006 insgesamt 29.603 mal heruntergeladen wurde. Aufgrund der deutlich größeren Zeitspanne von knapp 6 Monaten bei etwas älteren Musiktiteln ging das Gericht im vorliegenden Fall von 400 Zugriffen pro Titel aus. Demnach ist bei 0,50 € je Titel je Zugriff von einem Schaden von 200 € auszugehen.

Kosten für die Abmahnung: 2.380,80 €

Auch die Abmahnung war gerechtfertigt, sodass die Rechteinhaber nach §§ 683 S. 1, 670 BGB die Abmahnkosten in Höhe von 2.380,80 € verlangen konnten. Dabei ist die Abmahnung nicht schon deshalb unwirksam, weil die Tonträgerhersteller nicht ihr Aktivlegitimation nachgewiesen haben. Die Berechtigung zur Abmahnung setzt nämlich nicht voraus, dass sämtliche Tatsachen bereits belegt werden. Eine Abmahnung soll nur einen Weg zur Klageverhinderung anbieten. Diesen Zweck ist die Abmahnung nachgekommen, zumal die Eltern auch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben haben.

Insgesamt war damit sowohl der Schadensersatz- als auch der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten gerechtfertigt. Die Berufung war daher unbegründet.

Anmerkung: Das Urteil lässt – wie der ehemalige OLG-Richter Dr. Helmut Hoffmann in der Zeitschrift Multimedia & Recht (MMR) 2012 ab Seite 387 hinweist – eine Reihe von Rechtsfragen und Kritik zu. Zunächst erscheint es etwas merkwürdig, dass dem Verfahren eine Hausdurchsuchung voranging und das Ermittlungsverfahren zunächst gegen die Eltern geführt wurde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass – wie im Strafrecht auch – dem Jugendlichen ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 3 StPO zusteht und die Polizei darüber sofort zu belehren hat. Nur wenn die Belehrungspflicht eingehalten wurde, können die Beweise auch im Zivilverfahren verwendet werden. Auch erscheint fraglich, ob die Beschlagnahme und Durchsuchung des Computers von der richterlichen Anordnung der Hausdurchsuchung noch gedeckt war. Leider lässt sich dem Urteil hierzu nichts konkreteres entnehmen.

Einen zweiten Kritikpunkt bietet das Urteil in Bezug auf die Beweislastverteilung bezüglich der Rechteinhaberschaft der klagenden Partei. Wie Dr. Hoffmann richtigerweise hinweist, verschiebt das OLG Köln in diesem Urteil die Beweislast auf die Eltern, wenn die Tonträgerhersteller bei Phononet registriert sind. Die Voraussetzungen für eine solche Beweislastverschiebung lagen hier aber nicht vor. Die Phononet-Datenbank konnte gerade nicht von den Eltern überprüft werden, während die Tonträgerhersteller die Rechtekette genau nachweisen konnten. Wie die Eltern dagegen einen Fehler in der Rechtekette nachweisen sollen, bleibt völlig offen. Dies übersieht das Urteil des OLG Köln.

Die Entscheidung ist für Eltern im Ergebnis kein besonders gutes Urteil, da sie nun selbst in die Haftung kommen. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis wird die Haftung deutlich erweitert. Während bei der bisherigen Störerhaftung der Inhaber des Internetanschlusses grundsätzlich nicht selbst auf Schadensersatz haftete, müssen Eltern zukünftig auch mit Schadensersatzforderungen wegen der Verletzung ihrer Aufsichtspflichtverletzung rechnen.

Zu begrüßen ist die Entscheidung lediglich bezüglich der Konkretisierung der Aufsichtspflichtverletzung. Zum einen berücksichtigt das Gericht sowohl das Alter als auch die Entwicklung des Kindes. Zum anderen zeigt das Gericht auch einen Weg zur Erfüllung der Aufsichtspflicht auf. Für Eltern bedeutet dies, dass Sie ihrem Kind die Nutzung des Internets nicht oder nur unter ständiger Überwachung erlauben brauchen, sondern es ausreicht, wenn Sie ausreichende Sicherungsmaßnahmen installieren und diese regelmäßig kontrollieren. Dabei müssen aber offensichtliche Verstöße erkannt werden.

Als absolut lebensfremd erscheint die Schadenshöhe von 200 € je Musiktitel. Zwar spricht zunächst nichts gegen die Berechnungsgrundlage von 0,50 € je Zugriff auf die Musikdatei. Jedoch erscheinen 400 Zugriffe pro Titel als völlig utopisch. Dies meint auch Dr. Hoffmann, der dies an einem plastischen Beispiel einleuchtend erklärt: wenn 400 Uploads von über 1.000 Dateien mit einer realistischen Größe von 5 MB je Datei erfolgen sollen (also 2.000 GB) benötigt man bei einer durchschnittlichen DSL-Geschwindigkeit von 1.024 KB/s über 100 Tage bei einer täglich 4-stündigen Datenübertragung. Dies erscheint wohl völlig unrealistisch. Hoffentlich erkennt dies auch der Bundesgerichtshof. Das OLG Köln jedenfalls ließ die Revision zu. Dabei wird sich der BGH auch mit der Haftung der Eltern auseinandersetzen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH hier eine Einschränkung vornimmt.

Betroffene Gesetze: § 19a UrhG, § 97 Abs. 2 UrhG, § 823 Abs. 1 BGB, § 287 ZPO

Schlagworte: Abmahnung, Abmahnkosten, Aufsichtspflicht, Filesharing, Kind, Kontrollpflicht, Lizenzanalogie, Minderjähriger, Öffentlich zugänglich machen, Phononet, Schadenshöhe, Überwachungspflicht, Upload, Unterlassungsanspruch, Unterlassungserklärung

 

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